Morten Bogacki überwältigt von Platz drei

Ein kurzer Sektspritzer, ein anerkennender Klaps auf den Rumpf von „Lilly“, dann ein schneller Schluck aus der Flasche, und schon musste Morten Bogacki seine Wertsachen ablegen, bevor ihn die Kollegen des Mini Transat 2019 schulterten und mit ihm ins Hafenbecken sprangen. 23 Tage und 16 Stunden allein auf See, 4562 Seemeilen im Kielwasser des Mini 6.50 „Lilienthal“ vom Offshore Team Germany! Atlantik überquert und sogar mit einem sensationellen Schlussspurt noch auf Gesamtrang drei der Proto-Wertung geflogen! Aber angekommen in der Karibik? Körperlich ja, mental noch nicht ganz: Nach seiner Ankunft am Samstag verarbeitet Morten Bogacki noch die Erlebnisse der vergangenen Wochen.

„Ich bin sehr glücklich und sehr überrascht über den dritten Platz. Ich muss noch realisieren, angekommen zu sein. Die letzten Tage waren geprägt vom schwachen Wind, vom vielen Steuern per Hand. Es war sehr anstrengend, aber es ist eine große Erfahrung“, erklärte der 33-Jährige nach seinem Transatlantik-Debüt, das er so nie erwartet hatte – nicht erwarten konnte. Da waren Bruch und technische Probleme auf der ersten Etappe von La Rochelle/Frankreich nach Las Palmas/Gran Canaria, die ihm fünf Tage den Schlaf raubten und lediglich auf Rang elf das Zwischenziel erreichen ließen. Da waren die ersten zehn Etappentage in Richtung Karibik, in denen „Lilienthal“ immer wieder in die Wellen eintauchte, in denen sich der Mini unter Gennaker ein ums andere Mal auf die Seite legte und in denen alles an Bord nass war. Da war aber auch dieser faszinierende Endspurt, als der einzige Deutsche im Feld Platz für Platz im Ranking nach oben kletterte. In der flauen Brise vor Martinique setzte er Halse um Halse perfekt, fand auf den Schlussmeilen in der glatten See den entscheidenden Windstrich, mit dem er noch so viel Zeit vor seinen Verfolgern gewann, dass er nicht nur in der zweiten Etappe auf Rang drei segelte, sondern sogar in der Addition beider Teilstücke völlig unerwartet auf das Podium sprang.

Von den Kollegen geschultert ging es für Morten im Ziel von Martinique ins Wasser. Foto: Breschi/Mini Transat

Auch einen Tag nach seiner Ankunft rätselte Bogacki, wie ihm dieser Sprung auf den dritten Gesamtrang glücken konnte. Geschlafen hatte er in seiner ersten Nacht an Land nur bruchstückhaft. Zweimal war er in den Hafen gegangen, um Erwan Le Mene und Tanguy Bouroullec in Empfang zu nehmen – die beiden Franzosen, die vier Tage zuvor noch scheinbar uneinholbar vor ihm auf die Karibik zugesteuert waren. Doch als es in der flauer werdenden Brise darum ging, das Wasser richtig zu lesen und dem Autopiloten viel Steuerarbeit abzunehmen, da schlugen die Stunden des ehemaligen Junioren-Weltmeisters im 505er und Ex-Kaderseglers im 470er. In der Nacht zum Donnerstag setzte er sich auf Platz drei und baute den Abstand kontinuierlich aus. „Rund um Martinique sah es dann sehr flau aus – alles lag da wie in Öl. Aber ich habe noch eine Wolke erwischt, auf den letzten fünf Meilen war ich super schnell“, berichtete Bogacki. Selbst der Tracker, über den die Fans und Freunde mitfieberten und der sich jede halbe Stunde aktualisierte, kam mit dem Zielanflug von „Lilienthal“ nicht mehr mit. Als ihn die Fangemeinde noch kurz vor dem Ziel wähnte, vermeldete die Rennleitung bereits seine Ankunft: „Meine Mutter hat gesagt, es war wie Silvester, wenn man ungeduldig wartet, dass es Mitternacht wird.“

Im Ziel wusste Bogacki dann, dass es mit dem dritten Platz auf der Etappe geklappt hatte. Aber sicher war er sich erst wenige Stunden zuvor. „Es ist auf dem Atlantik nicht einfach, das Puzzle zusammenzusetzen. Die Segler bekommen nur einmal täglich ein Update mit den Platzierungen aller und den Abständen bis zum Ziel. Die Positionen bekommt man aber nicht. Das ist also mehr ein Blindflug im Vergleich zur Konkurrenz. Nur aus den Funksprüchen untereinander kann man noch ein paar zusätzliche Infos ziehen. Es hätte aber auch sein können, dass ich auf Platz fünf liege“, so Bogacki, der nicht ausschließen konnte, dass Le Mene auf Südkurs oder Bouroullec auf der nördlicheren Route besseren Wind bekommen hatten. „Das war alles sehr aufreibend. Die Anspannung und Anstrengung in den letzten Tagen war super hoch. Deswegen kann ich das alles noch nicht fassen.“

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Nach 14 Tagen auf See blickte Bogacki auf einen wechselvollen Verlauf der zweiten Etappe zurück. Früh nach dem Start hatte er einen Kurs nach Westen gewählt. „Unser Wetterouting favorisierte die Nordroute“, so der Segler des Kieler und Düsseldorfer YC. Doch in den heftigen Winden erwischte es ihn gleich in den ersten Halsen. Nach der Reparatur der Travellerschiene, die in der ersten Etappe gebrochen war, ließ sich das Großsegel nicht mehr voll öffnen, und so packte sich Bogacki gleich zweimal mit einem Sonnenschuss auf die Seite, musste mühsam den Gennaker aus dem Wasser fischen. Ziemlich erschöpft behielt er zunächst den Kurs nach Westen bei, war dort schnell allein auf weiter See. Mit dem nächsten Wetterbericht prüfte er seine Strategie, korrigierte sein eigenes Routing und vermied fortan die Nord-Variante. Stattdessen segelte er ohne größe Ausflüge nach Nord und Süd einen mittleren Kurs. Und nach den ersten Abwürfen zügelte Morten Bogacki auch den Druck auf seinen Mini.

Von kleineren Schäden blieb die Yacht dennoch nicht verschont. „Ein paar beschädigte Beschläge“, wiegelte Bogacki ab. „Andere hat es härter getroffen.“ Allerdings bescherte ihm ein defekte Fallrolle, die schließlich zum Bruch des Gennakerfalls führte, eine weitere anstrengende Berge-Aktion, um das große Tuch wieder an Bord zu bringen. Und durch einen Schaden am Wasserstag des Gennakerbaums musste er die Kurse tiefer ansetzen, um ein Hochklappen des Baumes zu verhindern. Die weiteren Sonnenschüsse hatte Bogacki irgendwann aufgehört zu zählen. Und die Unwetterzellen über dem Atlantik forderten immer wieder Aufmerksamkeit: „Durch ein Gewitter musste ich durch, da gab es keine andere Möglichkeit. Zur Sicherheit habe ich sogar die Elektronik ausgeschaltet, um bei einem möglichen Blitzeinschlag kein Risiko für die Geräte zu haben. Nach einer dreiviertel Stunde war aber alles vorbei.“ Die lokalen Schauerwolken versuchte er indes zu umfahren: „Man wusste nie, was für ein Wind darin steckt. Der Regen war sintflutartig. Wenn man aber mal eine Dusche brauchte, konnte man natürlich auch direkt hindurchsegeln“, berichtete Bogacki mit einem Schmunzeln.

Auf der insgesamt 2700 Seemeilen langen Strecke über den Atlantik fand Morten Bogacki zwar nie in einen Flow-ähnlichen Zustand, dafür aber schnell in einen Rhythmus aus Essen, Trinken, Schlafen und Segeln: „Ich hatte eine klare Struktur für meine Tage, habe immer gut den Punkt erwischt, wenn es Zeit war, den Akku wieder aufzuladen und etwas zu schlafen. Und meine Welt habe ich bis zum Horizont begrenzt. Damit war sie nicht ganz so groß. Denn mitten auf dem Atlantik sich klar zu machen, dass 1350 Seemeilen hinter einem und genauso viele noch vor einem liegen, ist schon sehr beeindruckend.“

Mit diesem kühlen Kalkül überstand der Kieler die ersten zehn Tage ohne größere Probleme, obwohl der Wind immer wieder über die 20 Knoten schnellte. In der finalen Phase wurde es dann ruhiger auf See und es bot sich die Chance zum Angriff auf das Podium. „Da konnte ich auch nachts den großen Gennaker stehen lassen. Vorher war es auf ‚Lilly‘ mit den hohen Wellen und dem Wind schon ungemütlich.“ Dass der OTG-Mini seinen Steuermann am Ende tatsächlich auf den dritten Etappenplatz führte und es sogar in der Gesamtwertung noch zum Bronzerang reichte, überraschte aber auch Bogacki: „Damit habe ich nie gerechnet. Die Franzosen haben über Jahre auf das Ereignis hin trainiert. Ich habe das nur nebenbei betrieben, hatte in diesem Jahr neben den Qualifikationsregatten kaum Zeit zum Trainieren und arbeite ja auch noch zu 50 Prozent als Klinikarzt. Den Rückstand aus der ersten Etappe noch rauszuholen, ist unglaublich – ein Wunder.“ Aus über einem halben Tag Rückstand nach der ersten Etappe wurden noch 19 Minuten Vorsprung auf Tanguy Bouroullec, 21 Minuten auf Erwan Le Mene. „Das ist der Sport. Beide haben mir gleich sehr fair gratuliert. Ich denke, jeder kann die Leistung des anderen anerkennen.“

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