Ein Krachen mitten ins Herz

Es war dunkle Nacht, 1000 Kilometer vom Land entfernt, mitten im Southern Ocean. Das GUYOT environnement – Team Europe war in die Roaring Fourties, in die wilde Zone unterhalb des 40. Breitengrades, eingetaucht. Der Berliner Robert Stanjek hatte die Wache auf der schwarzen Yacht übernommen. Die Böen drückten ins Cockpit, mit einem Anlauf von Tausenden Kilometern rollten sechs bis sieben Meter hohe Wellen heran, ließen die Yacht in die See krachen. Unter Deck machte sich Annie Lush fertig, um in ihre Rohrkoje zu schlüpfen und etwas Schlaf zu bekommen an diesem dritten Tag auf See im dritten Teilstück des The Ocean Race, der Königsetappe über 12.750 Seemeilen von Kapstadt/Südafrika nach Itajaí/Brasilien.

Die Britin warf noch einen Blick durch die Kabine und nahm eine Bewegung wahr: Ein Ausrüstungskoffer, festgeschnallt auf dem Boden hob und senkte sich. Das konnte nicht sein, durfte es nicht. Sie blickte noch mal. Der Koffer bewegte sich wieder. Es war der Anfang vom Ende dieser Etappe. Rund 600 Seemeilen nach dem Start in Kapstadt realisierte die Crew mit Skipper Benjamin Dutreux, Robert Stanjek, Sébastien Simon, Annie Lush und Onboard-Reporter Charles Drapeau Knacken und Bewegungen in der Rumpfkonstruktion unterhalb des Laminatbodens. Die erste Analyse ergab, dass der Schaden derart ernsthaft war, dass eine sichere Weiterfahrt der Etappe von Kapstadt/Südafrika nach Itajaí/Brasilien nicht möglich war. In Absprache mit dem technischen Team, den Yachtkonstrukteuren und der Teamleitung wurde die Rückkehr nach Kapstadt entschieden und die Rennleitung über den Abbruch dieser Etappe informiert.

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Das The Ocean Race muss damit für das GUYOT environnement – Team Europe indes noch nicht zu Ende sein. In Kapstadt kann über die Möglichkeiten der Reparatur und einen eventuellen Wiedereinstieg in die nächsten Etappen entschieden werden. Die Crew arbeitet sich nun in gedrosselter Fahrt, um die Yacht nicht zu belasten, nach Kapstadt zurück, wo sie in drei bis fünf Tagen erwartet wird. Alle Vorkehrungen zu einer eventuellen Evakuierung der Yacht sind getroffen. Die Stimmung an Bord ist trotz des tiefen Rückschlags hoffnungsvoll, das Boot nach Kapstadt zurückzubringen und möglicherweise wieder in das Rennen einzusteigen.

„Ich kam gerade von der Wache und versuchte, meine Klamotten auszuziehen. Aber es war etwas schwierig, denn wir waren in ziemlich hohen Wellen unterwegs. Ich wollte gerade in mein Bett gehen, als ich sah, wie sich auf der anderen Seite der Koffer bewegte, den wir am Boden festgeschnallt hatten. Ich dachte zunächst: Vielleicht bin ich ein bisschen paranoid. Aber dann sah ich wieder, wie er sich bewegte. Also ging ich rüber und hörte Geräusche von Delamination. Ich habe Ben alarmiert und Charles geweckt. Auch sie konnten es hören – leider. Als ich meine Hand auf den Boden legte, spürte ich, wie er sich auf und ab bewegte“, berichtet Annie Lush von dem Moment, in dem sie den Schaden bemerkte.

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„Das ist so bitter, denn wir hatten über so lange Zeit überhaupt keine Probleme. Wir haben mit den Bootskonstrukteuren gesprochen – und ja, leider: Es gibt keine Möglichkeit, es hier draußen zu reparieren. Also müssen wir jetzt nach Kapstadt zurückkehren.“ Die Stimmung an Bord konnte Annie Lush nach dieser Entscheidung nur schwer in Worte fassen: „Für Ben und mich ist es das erste Mal, dass wir jemals in einem Offshore-Rennen nach Hause zurückkehren müssen. Es ist ein neues Gefühl und es fühlt sich nicht gut an. Es ist eine große Etappe und wir haben uns darauf gefreut. Wir waren in einer starken Position und die Stimmung an Bord war sehr gut. Wir haben das Rennen genossen. Es gibt nichts, das wir jetzt tun können, außer zu versuchen, so schnell und so sicher wie möglich zurückzukommen und den Schaden zu begutachten und zu sehen, was als nächstes passiert. Aber zum Glück ist es nicht die Vendée Globe, es ist ein Rennen mit mehreren Etappen. Wir werden zurückkommen – sobald wie möglich.“

Der Kampfgeist im Team ist um Skipper Dutreux lebendig: „Heute morgen waren wir in Richtung Osten unterwegs. Wir wurden von Tiefdruckgebiet mitgerissen, was uns erlaubte, ziemlich schnell voranzukommen. Wir waren gut positioniert im Vergleich zur Flotte. An Bord herrschte eine sehr gute Stimmung.

Plötzlich sah Annie, wie sich der Boden bewegte, und Charles hörte zwei Knacken. Wir verlangsamten sofort das Boot und versuchten zu sehen, was passiert war. Tatsächlich sah ich, dass sich der Boden auf der Backbordseite am Boden des Rumpfes stark bewegte. Wir rollten die Segel ein und versuchten, eine ruhige Position zu finden. Aber es war nicht einfach, denn das Boot bewegte sich stark. Wir hatten Seegang mit Wellen von sechs bis sieben Metern. Wir kontaktierten das technische Team, das die Bootskonstrukteure anrief, um zu erfahren, was sie davon hielten.“

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Zu diesem Zeitpunkt hatte die Crew die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Etappe noch nicht ganz aufgegeben: „Wir fuhren langsam weiter nach Osten. Aber bis Australien waren noch viele Tage auf See, also schien es nicht sinnvoll, so weiterzumachen. Weil wir es nicht auf See reparieren können. Wir müssen das Boot aus dem Wasser nehmen, es aufschneiden, reparieren und wieder verkleben. Daher haben wir beschlossen, zurück nach Südafrika, wahrscheinlich Kapstadt, zu segeln. Wir fahren langsam, um den Rumpfboden nicht zu sehr zu bewegen, und wir sind noch 3, 4 oder 5 Tage von Kapstadt entfernt. Wir werden versuchen, an Bord eine notdürftige Reparatur durchzuführen.“

Für Co-Skipper Robert Stanjek, der seine Premiere im The Ocean Race segelt, ist die Rückkehr nach Kapstadt eine bittere Erfahrung, das Platzen eines Traumes, die Welt im Southern Ocean zu umrunden: „Es ist sehr enttäuschend, diese Königsetappe aufgeben zu müssen. Wir haben sehr gut gesegelt. Die Mannschaft hatte eine gute positive Konzentration. Gerade nach den beiden ersten Etappen hatten wir gehofft, dass das Pech mal abgeschöpft ist und wir endlich unser Potenzial zeigen können. Dann machte es zweimal Knack und innerhalb von Sekunden hat sich das Vorhaben umgekehrt. Wir haben auf den Call des Tech- und Designteams gewartet. Aber es war eigentlich ziemlich schnell klar, dass man mit so einem Schaden nicht im Southern Ocean spielen kann. Es ist sowohl sportlich für die Mannschaft als auch das gesamte Team ein harter Schlag. Alle haben so schwer und lange gearbeitet. Aber es zerplatzt auch ein persönlicher Traum, der mich Jahre angetriebenen hat. Ich wollte dieses Seerevier und diese Etappe erfolgreich segeln. Und dann kommt so schnell das Aus. Sport ist manchmal so brutal.“

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Bitterer Moment für die Crew des GUYOT envoironnement – Team Europe. Fotos: Charles Drapeau

Trotz aller Enttäuschung gilt der Fokus nun der aktuellen Situation: „Wir haben die delaminierte Stelle stark mit Ausrüstungsteilen beschwert, damit der Sandwichboden nicht so starkes Spiel hat und von den Wellen durchgedrückt wird. Wir sind gedrosselt mit 8 kn Fahrt Richtung Kapstadt unterwegs. Alle Schotten im Schiff sind geschlossen. Für den Extremfall ist alles griffbereit. Wir verbleiben im Wachsystem.“

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