Spannung vor dem Start

Schmelztiegel Lorient: Die internationale Flotte des Offshore-Segelns versammelt sich im Süden der Bretagne. Zwölf Teams aus neun Nationen sind bereit für die Premiere des The Ocean Race Europe. Die 2000 Seemeilen (3.700 Kilometer) lange Strecke des Rennens führt die Teams von Lorient/Frankreich nach Cascais/Portugal und Alicante/Spanien bis nach Genua/Italien. Die beiden Flotten in den Klassen Imoca und VO65 segeln in drei Etappen und zwei Coastal-Races die Sieger dieser ersten Auflage des Europa-Rennens aus. Und mittendrin im Geschehen der Top-Teams der Imoca-Klasse: das Offshore Team Germany (OTG). Für die Crew mit den beiden Deutschen Robert Stanjek und Phillip Kasüske sowie der Britin Annie Lush und dem Franzosen Benjamin Dutreux ist es ein Meilenstein auf dem Weg zum Weltrennen 2022/23. Sie werden sich mit der „Einstein“, dem einzigen Nicht-Foiler in der Imoca-Flotte, gegen Yachten der modernsten Generation behaupten müssen. Als Onboard-Reporter wird Felix Diemer für Foto- und Videomaterial von Bord sorgen. Der Startschuss fällt am Samstag, 29. Mai, um 13.45 Uhr.

CEO Michael End (rechts) und Team-Manager Jens Kuphal haben vor rund fünf Jahren das Team gegründet. Fotos: Felix Diemer/OTG

Fünf Jahre ist es her, dass das von CEO Michael End und Teammanager Jens Kuphal gegründete OTG auf Mallorca die Ex-„Acciona“ kaufte. Seitdem wurde der Imoca durch das Team von Joff Brown komplett refittet und vor zwei Jahren zur Kieler Woche als „Einstein“ neu getauft. Nach der Teilnahme am Rolex Fastnet Race 2019 ist die Yacht nun bereit für den ersten großen Auftritt. Als Skipper wird Robert Stanjek (40) das Team in den kommenden drei Wochen über die Etappen im Atlantik und Mittelmeer führen. Ihm zur Seite stehen mit der zweimaligen Weltumseglerin Annie Lush und dem aktuellen Vendée-Globe-Neunten Benjamin Dutreux zwei internationale Offshore-Größen sowie Phillip Kasüske, der seine ganze Kraft aus der olympischen Finn-Klasse ins Geschehen werfen wird. „Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, das Team so zusammenzustellen. Wir wollten die Kombination aus verschiedenen Schulen des Segelns zusammenbringen: die Erfahrung von den Olympiaklassen, aus dem Ocean Race und von der Imoca-Klasse. Es ist der richtige Weg. Aus allen Bereichen kommt wichtiger Input. Annie und Ben haben ein großes Meilenkonto, Phillip und ich bringen die intensive Schulung aus olympischen Klassen ein. Das Entscheidende ist, dass das Team egofrei funktioniert. Und die Erfahrungen aus den vergangenen Trainingseinheiten sind sehr gut“, sagt Robert Stanjek.

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Der junge Wilde an Bord der „Einstein“ ist Phillip Kasüske (26). Er soll die PS an Bord bringen. Seine Kraft wird am Grinder gefordert sein, sein Feingefühl allerdings auch am Ruder der Yacht: „Ich habe eine sehr genaue Vorstellung davon, welche körperlichen und athletischen Herausforderungen mich erwarten. Ich bringe diese Physis mit, bin das aus der jahrelangen Arbeit vom Finn gewöhnt. Und ich bin als Jüngster im Team sicherlich auch am Belastbarsten. Aber ich kann durch meine Finn-Erfahrung auch gut steuern“, sagt Kasüske. Die Yacht kennt er inzwischen sehr genau: „Ich habe einige Überführungsfahrten gemacht, bin das Fastnet Race mitgesegelt, habe viele Leinen an Bord gespleißt und eingeführt. Ich habe das Gefühl, eine Einheit mit ,Einstein‘ geworden zu sein.“

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Pures Glück im Team empfindet Annie Lush (41), die Robert Stanjek inzwischen seit rund 15 Jahren kennt und an Bord als Pit dafür sorgt, dass die richtigen Strippen gezogen werden: „Ich freue mich, mit dem Offshore Team Germany zu segeln. Es fühlt sich wie eine Familie an. Es ist eine sehr aufregende Reise, Teil des Teams zu sein. Ich denke, es gibt so viel Potenzial im gesamten Team – an Bord, an Land und im Management. Während des Rennens werden wir noch viel lernen müssen. Es ist ein einzigartiges Rennen mit vier Seglern an Bord einer Imoca. So ist noch kein Rennen gesegelt worden. Daher werden wir noch den besten Weg finden müssen, um die maximale Geschwindigkeit und Leistung zu erzielen und gleichzeitig mit unserer Energie den ganzen Monat lang zu haushalten. Wir müssen auch noch viel über ,Einstein‘ lernen, denn wie viele Teams konnten wir aufgrund der Pandemie lange Zeit nicht segeln.“

Benjamin Dutreux (31) ist vor wenigen Wochen nach seinem erfolgreichen Abschluss der Vendée Globe als Navigator zum Team gestoßen, bringt mit seinem französischen Team im Hintergrund Erfahrung beim Routing in das Team. Nach den wenigen Wochen intensiven Trainings stellt er fest: „Ich bin beeindruckt von der Mannschaft. In der ersten Einheit haben wir uns auf die Manöver konzentriert, in der zweiten auf die Performance. Während des Rennens müssen wir noch lernen, miteinander zu kommunizieren, unsere Schlafzeit zu managen. Aber wir haben ein großartiges Team mit großartigen Seglern.“

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Diese gelungene Teamzusammenstellung war eine Maxime der Teamführung um Jens Kuphal: „Das Wichtigste ist, dass die Mannschaft zu einer Einheit zusammenfindet und gut vorbereitet in Lorient über die Startlinie fährt. Im Laufe des Rennens wird sich die Situation sicherlich noch weiter verbessern.“ Seine Aufregung vor dem Start ist zum Greifen: „Für Deutschland ist es 20 Jahre nach dem Sieg der ,Illbruck‘ das erste Mal, dass wieder ein deutsches Boot an der Linie zum Ocean Race ist. Das ist ein großartiges Signal. The Ocean Race Europe ist die perfekte Generalprobe für das große Rennen im nächsten Jahr. Das werden wir nutzen, um uns noch besser auf das Weltrennen vorzubereiten.“

Auch CEO Michael End kann den Startschuss kaum erwarten: „Langsam wir es kribbelig. Es ist ein toller Anblick, wenn man das Team sieht, aber auch die Yacht. Weißer Rumpf, schwarze Segel mit den Deutschlandfarben: Ich bin begeistert. Die DNA des Projektes ist ja, dass wir etwas für Deutschland tun wollten. Und ich denke, das ist uns gelungen. Wir fahren mit dem Claim ,Made in Germany‘, was vor allem den deutschen Mittelstand berührt, um die Welt – bzw. jetzt erst einmal um Europa.“

Spannend wird sein, wie sich „Einstein“ ohne Foils gegen die modernen Imocas behauptet. „Wir haben nicht die gleiche Waffe wie andere Imocas mit Foils. Aber wir haben unter bestimmten Bedingungen kleine Vorteile. Ich denke, die beste Option für uns ist, uns nicht auf die die anderen Boote zu konzentrieren, sondern unseren Job zu machen“, sagt Dutreux. Und auch Annie Lush gibt sich abwartend: „Wir werden mit jeder Meile, die wir segeln, viel lernen. Es gibt viele Variablen im Rennen. Aber wir wissen noch nicht, zu welcher Gesamtleistung wir fähig sind.“

Einen Expertenblick von außen hat der deutsche Foil-Papst Martin Fischer auf das The Ocean Race geworfen. Er sieht die modernen Imocas im Vorteil, sagte aber auch: „Herrschen Schwachwind-Bedingungen, dann werden die Foils zum Nachteil, da sie zu sehr bremsen. Hohe Am-Wind-Anteile auf den Kursen oder Strecken platt vor dem Wind werden für eine konventionelle Yacht zum Vorteil. Natürlich ist unter normalen Wetterbedingungen nicht davon auszugehen, dass die Boote der neuesten Generation zu schlagen sind, wenn sie keine Schäden nehmen. Aber es gibt viele Optionen, die Achtungserfolge für die ,Einstein‘ erlauben, und damit keinen Grund, nicht optimistisch in das Rennen zu gehen.“

Skipper Stanjek hat diese Marschroute fest im Blick: „Die Messlatte zu den anderen Teams zu legen, ist in der aktuellen Situation schwer. Aber wir werden im Rennen amtlich fighten. Das ist versprochen.“

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