Martin Fischer ist die deutsche Kompetenz in Sachen Foiling und interner Kenner des Offshore Team Germany von der ersten Stunde an. Er gehörte zum inneren Team-Zirkel, der die Ex-„Acciona“ vor rund fünf Jahren erstmals in Augenschein nahm und nimmt seitdem immer wieder eine wichtige Berater-Funktion für das OTG wahr. Vor dem Start zum The Ocean Race Europe gibt er seine Einschätzung zur weiteren Entwicklung im Thema Foils sowie einen Ausblick zu den Möglichkeiten und der Performance beim anstehenden Rennen ab.
Wenn es darum geht, Multihulls und Yachten der neuesten Generation Flügel zu verleihen, dann ist Martin Fischer gefragt. Die internationale Designer-Karriere begann der Physiker mit der Entwicklungen von Strandkatamaranen, widmete sich dann den Rumpf-Anhängen von Riesen-Multis wie „Groupama“ und „Sodebo“, bis ihn seine Expertise schließlich zu Engagements in verschiedenen America’s-Cup-Teams führte. Als Chef-Designer von Luna Rossa führte er das italienische Team zum Sieg im Prada Cup. Aktuell plant er in seiner Heimat Neukaledonien seine weitere AC-Karriere, engagiert sich auch in der Konzeption von Anhängen für einen Imoca und sieht mit Spannung dem Auftritt des Offshore Team Germany beim The Ocean Race Europe entgegen.
„Ich kenne Jens (Kuphal, d. Red.) schon einige Jahre und bin begeistert, was das Team aufgebaut hat. Jetzt beim The Ocean Race Europe an den Start zu gehen, ist ein großer Schritt und eine wichtige Basis für die weitere Kampagne“, sagt Fischer in einem Telefon-Gespräch. „Es ist sehr gut, dass es dieses Engagement in Deutschland gibt.“
Mit dem Kauf der ehemaligen „Acciona“ vor fünf Jahren hat das OTG nach Fischers Einschätzung einen guten Griff getan: „Ich kenne die ,Acciona‘ ein bisschen: Es ist ein sehr gutes Boot, eines der leichtesten seiner Generation. Damals wurde das Boot unter Wert gesegelt. Mit dem kompletten Refit in den vergangenen Jahren ist es jetzt fast wie neu – eine sehr starke Plattform. Natürlich muss es fürs The Ocean Race noch mit Foils ausgestattet werden. Die Verstärkungen in den Rumpf einzubauen, sollte aber machbar sein. Ich sehe da kein Problem.“
Dass die vor zwei Jahren in „Einstein“ umgetaufte Yacht noch keine Foils besitzt, ist für das anstehende The Ocean Race Europe zwar von Nachteil, sei mit Blick auf die weitere Entwicklung aber die richtige Strategie gewesen. Martin Fischer: „Mit der Foil-Entwicklung abzuwarten, ist eine kluge Entscheidung. Denn es war abzusehen, dass es in der Imoca-Klasse zu Regeländerungen kommen würde. Jetzt sind die Regeln bekannt und man kann konkret darüber nachdenken, welche Art von Foils man einsetzen will. Eine frühzeitige Foil-Entwicklung bzw. -Konstruktion hätte erhebliche Finanzmittel verschlungen.“
Insbesondere die Beschränkungen zur maximalen Fläche der Foils und des Trägheitsmomentes werden die Entwicklungen beeinflussen. Fischer erwartet, dass alle Teams fürs The Ocean Race an das Maximum der Möglichkeiten herangehen werden. Damit werden sich die Foils angleichen, und es ergeben sich Chancen zur Kooperation mit diversen Partnern.
Unterschiede sieht Fischer bei der Entwicklung der Imoca-Foils für einen Einsatz beim The Ocean Race oder bei der Vendée Globe: „Eine Crew kann deutlich aggressivere Foils verwenden, kann mehr Einstellmöglichkeiten fahren, den Anstellwinkel ständig anpassen. Ich gehe davon aus, dass sich beim Teamsegeln – auch wenn es eine kleine Crew ist – einer ständig um die Foils kümmert. Dabei wird er in einer Frequenz von jeweils zehn bis 15 Minuten die Einstellungen prüfen und nachjustieren müssen. Für die Solo-Segler ist das natürlich nicht möglich. Sie werden mit mittleren Einstellungen und weniger radikalen Foils segeln – so wie sie auch die Segel auf mittlere Windgeschwindigkeiten einstellen. Die Team-Boote werden viel härter rangenommen.“ Damit wird auch die Entwicklung einer Yacht für beide Rennen eine schwierige Aufgabe: „Das ist sicherlich nicht unmöglich, aber sehr ambitioniert. Man kann natürlich die Erfahrungen aus dem The Ocean Race in die Entwicklung der Vendée-Yacht mit einfließen lassen.“
Die vergangenen Vendée Globe hat Martin Fischer genau beobachtet. „Die Imocas sind schon immer sehr interessante Boote gewesen. Da ich aber seit vergangenen Oktober im Hintergrund bei einem Imoca-Team in der Konzeption der Anhänge engagiert bin, habe ich noch genauer hingesehen. Mein Eindruck war, dass die Designer in der letzten Entwicklungsschleife zu sehr auf Glattwasser-Performance gesetzt haben. Dafür passten aber die Wetterbedingungen der vergangenen Vendée überhaupt nicht. Entweder waren die Bedingungen nicht zum Foilen geeignet oder sie waren so rau, dass die Segler Druck rausnehmen mussten und das Potenzial der Foils nicht nutzen konnten.“
Zum The Ocean Race Europe sieht der Foil-Experte für die Imocas der neuesten Generation klare Vorteile: „Der Kurs sollte den aktuellen Foilern liegen. Es ist weniger rau als im Southern Ocean. Voraussetzung ist allerdings, es herrschen normale Wetter- und Windbegungen. Allerdings sind die Bedingungen zu dieser Jahreszeit in Europa noch sehr unbeständig, und bei den vergleichsweise kurzen Etappen kann man komplett in einem ungewöhnlichen Hoch oder Tief festhängen. Es wird also viel von den aktuellen Wetterbedingungen abhängen. Anders als zur Vendée kann man nicht mit langjährigen Statistiken aufwarten. Im Mittelmeer kann sich Seabreeze oder auch Mistral über mehrere Tage durchsetzen. Das verändert das Bild komplett.“
Mit diesen wenig vorhersehbaren Bedingungen steigen laut Martin Fischer auch die Chancen des Offshore Team Germany, die favorisierten Foiler-Teams zu ärgern: „Herrschen Schwachwind-Bedingungen, dann werden die Foils zum Nachteil, da sie zu sehr bremsen. Hohe Am-Wind-Anteile auf den Kursen oder Strecken platt vor dem Wind werden für eine konventionelle Yacht zum Vorteil. Natürlich ist unter normalen Bedingungen nicht davon auszugehen, dass die Boote der neuesten Generation zu schlagen sind, wenn sie keine Schäden nehmen. Aber es gibt viele Optionen, die Achtungserfolge erlauben, und damit keinen Grund, nicht optimistisch in das Rennen zu gehen.“