Die Vision

Es war lange still um Deutschland im professionellen Hochsee-Segelsport: 18 Jahre ist es her, dass die „Illbruck“ mit dem legendären Sieg beim Volvo Ocean Race für den letzten deutschen Triumph sorgte. Vor zwölf Jahren versuchte sich das United Internet Team Germany vor Valencia im America’s Cup. Seitdem fehlten die großen Schlagzeilen um schwarz-rot-goldene Segelerfolge. Zeit, dass sich was dreht. Das Offshore Team Germany (OTG) hat nun wieder ein klares Ziel vor Augen. 2021/2022 will die Mannschaft um Skipper Robert Stanjek zum „The Ocean Race“ ihre „Einstein“ ins Weltrennen schicken. Es wäre genau 20 Jahre nach dem „Illbruck“-Erfolg, dass sich wieder ein Team unter deutscher Flagge an dem Klassiker beteiligt.

Das nächste Kapitel

Mitte September 2019 fühlte es sich schon ein wenig an, wie angekommen zu sein. Angekommen in der Familie der Volvo Ocean Race-Weltumsegler, mittendrin in der Klasse der IMOCA Open 60. Die Anwärter für das kommende „The Ocean Race“ (TOR) trafen sich in Alicante/Spanien. Die TOR-Organisatoren hatten eingeladen zum Gedankenaustausch, und das junge Offshore Team Germany war dabei. Team-Manager Jens Kuphal, CEO Michael End und Skipper Robert Stanjek gaben die Visiten-Karte des OTG im Kreis der Teams ab, die sich für eine Teilnahme vorangemeldet haben. Die deutsche Delegation knüpfte wichtige Kontakte, sammelte entscheidende Information, um nicht nur sich selbst, sondern für viele Segelbegeisterte in Deutschland einen Traum zu erfüllen.

Felix Diemer

SEGEL-Geschichte - "Made in Germany"

Seit der ersten Auflage des Weltrennens 1973/74 waren vier deutsche Yachten bei dem Meeresmarathon dabei. Der „Peter von Danzig“ 1973/74, die „Walross III“ 1981/82 und die „Schlüssel von Bremen“ 1989/90 segelten beim Whitbread Round the World; „Illbruck“ setzte mit dem Triumph 2001/02 den deutschen Glanzpunkt, als das Rennen als Volvo Ocean Race in eine neue Ära geführt wurde.

2021 soll es einen weiteren Neustart für das Ocean Race geben: neuer Name, neue Ideen, neue Etappenorte und veränderte Strukturen – und endlich wieder eine deutsche Mannschaft. Zur 14. Auflage des Ocean Race sollen die VO65 der vergangenen beiden Auflagen nun als Nachwuchsklasse an den Start gehen. Und neu dabei im Hauptrennen: die Klasse der IMOCA Open 60. Die Entscheidung darüber fiel im Herbst 2018 – und plötzlich war das Offshore Team Germany mittendrin im Geschehen. Denn die Entscheidung für die IMOCAs spielte der jungen Kampagne in die Hände.

Vor zwei Jahren hatten Team-Manager Jens Kuphal, CEO Michael End und Team-Kapitän Robert Stanjek die Basis geschaffen, um wieder eine Kampagne #madeingermany auf den Weg zu bringen. Mit dem Kauf der Ex-„Acciona“, eines IMOCA Open 60, im Frühjahr 2017 gelang es, einen Fuß in die Tür der internationalen Hochsee-Segelszene zu bekommen. Mit der Entscheidung, die Class IMOCA künftig als offizielle TOR-Klasse segeln zu lassen, wurde diese Tür zur großen Bühne weit aufgestoßen.

Zunächst galt es, das Projekt einer breiten Basis bekannt zu machen. Als ideeller Partner wurde dafür der Deutsche Segler-Verband gewonnen. Der DSV wird das Team begleiten, den Auftritt des OTG über seine Kanäle fördern und mit der gemeinsamen Bündelung des Know-hows daran arbeiten, dass sich für deutsche Spitzensegler langfristige Perspektiven im Segelsport ergeben. „Die Kooperation mit dem Offshore Team Germany ist für den Deutschen Segler-Verband aus verschiedenen Sichtweisen von besonderer Bedeutung. Zum einen ist die Emotionalisierung, die mit einer Teilnahme am Ocean Race einhergehen würde, hervorragend geeignet, um dem Segelsport mehr mediale Aufmerksamkeit zu bescheren. Zum anderen lässt sich bei unseren Athleten eine Begeisterung schüren, die weit über den Jugendbereich oder eine olympische Kampagne hinausreicht“, sagt DSV-Präsidentin Mona Küppers und führt weiter aus: „Es ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Denn das OTG kann auf gut ausgebildete Kadersegler zurückgreifen, und mit Sicht auf Olympia 2024 können wir gemeinsam an einem erfolgreichen Offshore-Auftritt arbeiten.“

Genau das passt auch in das Konzept des OTG. Denn es geht nicht nur darum, ein internationales Profi-Team unter deutscher Flagge an den Start zu bringen, sondern auch deutschen Seesegel-Nachwuchs einzubinden. Neben Skipper Robert Stanjek gehören daher Finn-Ass Phillip Kasüske und Morten Bogacki, der den OTG-Mini „Lilienthal“ beim Mini Transat 2019 über den Atlantik führen will, zum Team. Mit 49er-Segler Fabian Graf, WM-Dritter 2018, wurde ein weiterer Olympia-Aspirant in den Fokus genommen.

Aber neben der Hochsee-Gemeinde soll ein noch größerer Kreis an Begeisterten auf dem Weg mitgenommen werden. Mit einer Stippvisite der Yacht Helgoland zum Störtebeker Opti Cup zog das OTG 120 Opti-Segler und deren Begleiter in seinen Bann. Die „Einstein“ tauchte nicht nur nah am Regattafeld auf und sorgte somit für tolle Bilder für die Fotografen, sondern stand im Hafen auch zu einem Open Ship für die Jüngstensegler und deren Begleiter bereit. „Wir können rauf, echt? Ich kenne das Boot von Instagram, aber das hier ist ja toll!“, so freuten sich die Opti-Kids über die Chance, einen tiefen Einblick in die Yacht zu bekommen.

Einen Tag vor dem Start in die Kieler Woche wurde der IMOCA Open 60 zudem im Herzen von Kiel.Sailing.City öffentlich vorgestellt. Die geladenen Gäste und das Publikum an der Reventloubrücke feierten den schneeweißen Renner, mit einer doppelten La Ola, als er von der zweimaligen Weltumseglerin Annie Lush mit einer Sektdusche auf den Namen „Einstein“ getauft wurde.

Vor der Taufe war es emotional geworden: Michael Illbruck, der 2001/02 die siegreiche deutsche Ocean-Race-Kampagne verantwortet hatte, schickte per Videobotschaft starke Worte an die OTG-Mannschaft. „Das ist der Hammer. Was für eine Aufregung, was für ein Abenteuer? Gott sei Dank, macht das mal einer!“, sagte Michael Illbruck. Er bestellte auch Grüße von John Kostecki, dem Erfolgssteuermann von 2002. „Er hat sich total gefreut. Also auch von Seiten der Mannschaft: Viel Glück! Wir haben nur die allerbesten Erinnerungen an Kiel. Es war unsere Mondlandung! Bis heute ist es das größte Erlebnis, unter dem Kieler Leuchtturm zu segeln. Unvergessen! Robert, ich hoffe, das passiert Dir und Deinen Leuten auch.“

Die Teilnahme am Welcom Race der Kieler Woche war ein erster Test für Team und Boot, nur sechs Woche später bewies das OTG, dass es tatsächlich Hochsee kann. Der IMOCA Open 60 legte ein starkes Comeback auf der Regattabahn hin. Beim Rolex Fastnet Race segelte die Crew der „Einstein“ um Skipper Robert Stanjek und Navigator Conrad Colman sowie die Crewmitglieder Annie Lush, Ian Smyth und Phillip Kasüske als 16. von 390 Yachten und dabei als neunter Imoca über die Ziellinie. Noch wichtiger als der respektable Erfolg auf dem Regattakurs waren allerdings die Erkenntnisse, die aus der Hochsee-Premiere nach dem Komplett-Refit der Yacht gezogen werden konnten: Selbst mit alter Segelgarderobe und noch ohne Foils erwies sich „Einstein“ als äußerst leistungsfähig und bewies damit, dass ein IMOCA Open 60 mit ordentlich Power in einer Crewstärke von fünf Personen gesegelt werden kann.

„Es war ein sehr erfolgreicher Test. Ich bin wirklich zufrieden – über die Performance des Bootes und des gesamten Teams“, so Team-Manager Jens Kuphal, der als Onboard-Reporter dabei war, nach dem heißen 605 Seemeilen langen Ritt bei dem Hochsee-Klassiker. „Es war ein fantastischer Moment, mitten in der Nacht um den Rock zu fahren. Ein großer Augenblick für jeden Segler – in diesem Fall aber auch für das Boot. Denn nach über sechs Jahren ist es nun endlich wieder auf die Regattabahn zurückgekehrt.“

Für Skipper Robert Stanjek war es nach den Testfahrten die erste echte Herausforderung mit „Einstein“: „Wir wollten ein Gefühl für das neue Ocean-Race-Setup mit einer Fünf-Personen-Crew bekommen. Es ist sehr intensiv, denn fünf Mann sind kein großes Team. Jeder hat zu kämpfen. Man muss ein sehr gutes Energie-Management haben. Wir haben es gut gemacht, das Boot hat gezeigt, dass es Potenzial hat. Ich bin wirklich sehr zufrieden – mit der Crew und mit der Hardware.“

Am Fastnet Rock wurde der erste echte Meilenstein für die Kampagne des OTG gesetzt. Aber es sind noch viele Schritte zu gehen. Mit dem Treffen der internationalen Ocean-Race-Teams im September in Alicante zeigte sich, dass auch das Rennen noch ein gutes Wegstück zu erledigen hat. Immerhin werden die Konturen der 14. Auflage nun schärfer. Europa ist mit großen Städten des aktuellen Weltsegelsports am Start. Vor Alicante wird erneut der Startschuss gegeben. Aarhus/Dänemark und Den Haag/Niederlande werden Etappenorte sein. Genua/Italien soll den Schlusspunkt bilden. Daneben stehen auch die Kapverden bereits als TOR-Hafen fest. Welche Metropolen darüber hinaus noch dazukommen, dazu soll bis Jahresende Klarheit herrschen. Die Auswahl der Etappenorte klärt nicht die weltumspannende Attraktivität des Spektakels, sondern gibt auch Klarheit darüber, wie die Yacht weiterentwickelt werden soll. Denn noch ist „Einstein“ nicht fertig. Die Foils werden erst in den kommenden Monaten nach Bekanntgabe der finalen Route entwickelt und die Anteile der Amwind- und Downwind-Strecken zum Weltrennen werden dabei über das Design entscheiden.

Es bleibt spannend für die OTG-Kampagne bis zum Start des Ocean Race in 2021. Doch der große Physiker Albert Einstein ist nicht nur der Namensgeber der Yacht, er ist auch die Inspiration für das Vorhaben. Denn der leidenschaftliche Segler sagte einmal: „Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.“

VOLVO OCEAN RACE 2001-2002

Nach oben scrollen